Warum gehört die Mathematik zur Bildung? (Teil 5)

Mathematik

Die historische Entwicklung der Mathematik

Schon in der Antike war Mathematik wesentlicher Bestandteil der höheren Bildung. Ein Überblick über die Entwicklung der Mathematik und ihren Stellenwert in der Bildung soll im folgenden gegeben werden. Sofern nicht anders angegeben, orientiert sich die Darstellung an Kaiser [Seite 10-79, 288-306].

Klassische Antike

Die Mathematik der klassischen Antike (ca. 500 v.u.Z. bis 500 u.Z.) war fast ausschließlich die Mathematik der Griechen, die zum Teil Kenntnisse von den Ägyptern und Babyloniern übernahmen. Die Kultur der Griechen bildet die Grundlage für die gesamte abendländische Politik, Kultur, Kunst und Bildung. Die Griechen haben auch den abendländischen Wissenschaftsbegriff geprägt: Wissenschaft wird um ihrer selbst willen betrieben, nicht mit Blick auf mögliche praktische Anwendungen. Damit waren sie auch die ersten, welche die Mathematik nicht als Mittel zum Zweck sahen.

Das Streben nach Erkenntnis richteten die Griechen mehr auf Abstraktes als auf die reale Welt; die beiden Wissenschaften, die sie am weitesten entwickelten, waren darum die Philosophie und die Mathematik. Der Grundstein für die Bedeutung, welche die Mathematik heute hat, wurde also bereits vor etwa 2500 Jahren gelegt.

Im Gegensatz zu heute gehörten praktisches und elementares Rechnen damals nicht zur Mathematik, sondern waren ein eigenständiges Fach, das Logistik genannt wurde.

Zwischen 600 und 400 v.u.Z. waren die meisten griechischen Gelehrten Naturphilosophen, die sich zugleich mit Philosophie, Mathematik (nicht Logistik) und Astronomie beschäftigen. Diese wurden damals nicht als getrennte Wissenschaften angesehen. Zu den Vertretern der sogenannten ionischen Periode zählte u.a. der Philosoph und Mathematiker Pythagoras von Samos (ca. 570-480 v.u.Z.), der eine Art von Naturreligion begründete, die sich auf die Mathematik stützte. Seine Anhänger glaubten, dass die Götter die Welt nach Zahlen und Zahlenverhältnissen geordnet hatten. Die Welt bestand aus Gegensätzen, die durch eine Harmonie vereinigt wurden. Die Harmonie beruhte auf Verhältnissen ganzer Zahlen, wie sie z.B. auch in der Musik oder Geometrie vorkommen.[3]

Die Blütezeit der Sophisten[4], zu denen auch einige Mathematiker zählten, war in Athen etwa zwischen 450 und 400 v.u.Z..

Zenon (der Ältere) von Elea (ca. 490-430 v.u.Z.) stellte die damals verbreiteten Ansichten über das Wesen von Raum, Zeit und Bewegung in Frage. Sein bekanntestes Sophisma ist das von Achilles und der Schildkröte[5], in dem er das “diskrete” Weltbild der Pythagoreer angriff. Seiner Ansicht nach waren Raum und Zeit nicht in kleine diskrete Einheiten eingeteilt, sondern kontinuierlich. Dieses Sophisma enthielt den ersten Vorläufer des mathematischen Stetigkeitsbegriffs und war der erste indirekte Beweis in der Mathematik.

Zwei wichtige griechische Philosophen, die sich auch mit anderen Wissenschaften befassten, waren Platon (ca. 427-347 v.u.Z.) und Aristoteles von Stagira (384-322 v.u.Z.). Über den Humanismus beeinflussten sie die Entwicklung der abendländischen Wissenschaft maßgeblich. Platon leitete eine von ihm gegründete Akademie in Athen, in der die Mathematik einen hohen Stellenwert hatte, wie an der Inschrift über dem Eingang zu erkennen ist: “Kein der Geometrie Unkundiger möge hier eintreten.” Platon übernahm die mathematischen Schlussweisen auch in andere Gebiete und gilt damit als Erfinder der analytischen Beweismethode.

In der Übergangszeit von der Athenischen zur Alexandrinischen Periode wirkte Euklid (um 300 v.u.Z.). sein mehrbändiges Werk “Die Elemente”, welches das gesamte damalige Wissen über Mathematik zusammenfasst, wurde stark von Platons Gedanken beeinflusst. Es behandelt die gesamte damalige Mathematik nur theoretisch und in streng logischem Aufbau; aus Definitionen, Axiomen und Postulaten folgen Sätze und Konstruktionen. “Die Elemente” beeinflussen noch heute die Mathematik und bilden die Grundlage für den heutigen Mathematikunterricht.

Die Römer übernahmen die Mathematik der Griechen, ohne sie weiterzuführen, und leisteten keinen Beitrag zur Entwicklung der Mathematik. Der Grund hierfür ist nicht geklärt; einige Historiker und Mathematiker sehen die Ursache darin, dass die römische Zahlnotation nur ganz elementare Berechnungen ermöglichte[6].


[3]Zu Beginn der Neuzeit griff Kepler die Idee in seinem Werk “Harmonica Mundi” nochmals auf.

[4]Sophisten waren Wanderlehrer, die im 5. Jh. v.u.Z. Philosophie, Staatskunde, Literatur und Rhetorik unterrichteten. Sie benutzten häufig auf Täuschung abzielende Scheinbeweise, sogenannte Sophismen.

[5]Es findet ein Wettlauf zwischen Achilles und einer Schildkröte statt. Achilles ist doppelt so schnell wie die Schildkröte, die einen Vorsprung von der Hälfte der Strecke erhält. Zu dem Zeitpunkt, an dem Achilles den Ausgangspunkt der Schildkröte erreicht hat, hat auch sie die Hälfte ihres Weges hinter sich gebracht und befindet sich also ein Viertel der Gesamtstrecke vor dem Ziel. Erreicht Achilles diesen Punkt, hat die Schildkröte ihren Abstand vom Ziel nochmals halbiert, und so weiter. Das bemerkenswerte ist, dass Achilles es auf diese Weise nie schafft, die Schildkröte zu überholen, da diese ihm immer um die Hälfte seines Restweges voraus ist.

[6]Das Arbeiten mit großen Zahlen war für die Römer sehr schwierig, denn römische Zahlen kann man z.B. nicht schriftlich multiplizieren oder dividieren.


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