Warum gehört die Mathematik zur Bildung? (Teil 12)

Immanuel Kant

Nach dem Studium der Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaft wurde Immanuel Kant (1724-1804) Professor für Metaphysik und Logik. Er setzte sich zum Ziel, die Metaphysik zu einer Wissenschaft zu machen.

In seinem Buch “Kritik der reinen Vernunft” nennt er die Mathematik als Beispiel für eine Wissenschaft, die sich in der klassischen Antike “vom bloßen Herumtappen zum sicheren Gang einer Wissenschaft” (Radbruch zitiert aus dem Vorwort zu “Kritik der reinen Vernunft” [Radbruch, Seite 144]) gewandelt hat. Diese Wandlung hält er auch in der Metaphysik für erforderlich. Er schlägt vor, nach der Erkenntnis der Gegenstände zu fragen, anstatt nach den Gegenständen der Erkenntnis, wie es bis dahin üblich gewesen war[12].
Kants Aufmerksamkeit gilt vor allem synthetischen Aussagen[13], d.h. solchen, die einen Erkenntnisgewinn darstellen. Ferner sind für ihn nur a priori gewonnene (d.h. von der Erfahrung unabhängige) Aussagen von Bedeutung, und er stellt sich die Frage, ob im Bereich der Vernunft synthetische Aussagen a priori erhalten werden können. Dies ist in der Mathematik möglich, und deshalb dient sie Kant als Vorbild. Er ist der Auffassung, dass er sein Ziel, die Philosophie zur Wissenschaft zu machen, nur mit Hilfe der Mathematik erreichen kann: “Kant vollzieht die Befreiung der Philosophie von der Mathematik unter gleichzeitiger Erkenntnis der einzigartigen Bedeutung der Mathematik.” [Jaspers, Seite 407]


Arthur Schopenhauer

Genau entegegengesetzt zu Kant, der mit Hilfe der Mathematik die Philosophie neu ordnete, verfolgte Arthur Schopenhauer (1788-1860) das Ziel, mit Hilfe der Philosophie die Geometrie in eine neue, seiner Meinung nach besser verständliche Form zu bringen.

Schopenhauer teilt alles Seiende in vier Grund-Kategorien ein: Grund des Werdens, des Erkennens, des Seins, des Willens. Die Geometrie in der Form, in der sie Euklid in seinen “Elementen” beschreibt, fällt in die Kategorie vom Grund des Erkennens, da die Darstellung deduktiv ist; Schopenhauer ordnet sie jedoch in den Bereich vom Grund des Seins ein. An die Stelle eines theoretischen Beweises setzt Schopenhauer z.B. eine Zeichnung, in der die Aussage des Satzes auf einen Blick zu erfassen ist. Damit steht Schopenhauers Auffassung dem Begriff der Mathematik als deduktive Wissenschaft entgegen, denn er ist der Meinung, dass sich alle mathematischen Aussagen anschaulich und intuitiv erfassen lassen.


[12] Diese Idee wird als die Kopernikanische Wende der Denkart bezeichnet.

[13] Das Gegenteil zur synthetischen Aussage ist die analytische; ein Beispiel dafür ist “Alle Körper sind ausgedehnt”, denn das Prädikat “ausgedehnt” ist schon im Subjekt “Körper” enthalten. [Radbruch, Seite 145]


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